Graham spielte Fussball und ging lieber zu Fuss als mit dem Auto zu fahren. Mit Anfang 30 suchte er einen Arzt auf, weil sein rechter grosser Zeh wund und geschwollen war. Graham dachte, er habe ihn beim Fussballspielen gebrochen. Doch der Arzt diagnostizierte Gicht, eine chronisch-entzündliche Erkrankung, die durch einen hohen Harnsäuregehalt im Blut verursacht wird. Seitdem nimmt der Offizier ein harnsäuresenkendes Mittel ein.
Doch darauf folgten mysteriöse Verletzungen. 2011, fünf Jahre später, hatte er eines Morgens so starke Schmerzen im rechten Knie, dass er kaum noch auftreten konnte. Eine Magnetresonanztomografie offenbarte eine gerissene Quadrizepssehne: Graham konnte sich nicht erinnern, wie und wo er sich verletzt haben könnte. Dank Physiotherapie verheilte die Verletzung. Im selben Jahr riss jedoch im Schlaf seine rechte Achillessehne. Das war schmerzhafter als die gerissene Quadrizepssehne. Hingen die Verletzungen mit seiner Gicht zusammen, oder lag die Ursache woanders?
2013 überwies der Hausarzt den Marineoffizier an Dr. Volodko Bakowsky vom QEII Health Sciences Centre in Halifax, Kanada. Er sollte herausfinden, woher die Weichteilverletzungen kamen. „Wenn der Auslöser einer Erkrankung unklar ist, werden Patienten oft zum Rheumatologen geschickt“, erklärt Dr. Bakowsky. Da bei Graham der Harnsäurespiegel dank des Medikaments richtig eingestellt zu sein schien, sah Dr. Bakowsky keinen Grund, die Diagnose anzuzweifeln. Auch die übrige Krankengeschichte erschien nicht ungewöhnlich. Ein Bluttest hatte einen niedrigen Vitamin-C-Spiegel ergeben, dem Graham durch Verzehr von Orangen entgegenwirkte. Nach einer Italienreise, während der er regelmässig Rotwein getrunken hatte, musste er wegen Magenproblemen einen Gastroenterologen aufsuchen. Dieser riet ihm, weniger Merlot zu trinken. Ansonsten war Graham in guter körperlicher Verfassung, so Dr. Bakowsky. Er vermutete, dass die wiederkehrenden Verletzungen von übertriebener körperlicher Aktivität herrührten.
Die Ursache: Skorbut - Vitamin-C-Mangel
Graham gab sich damit aber nicht zufrieden. Er war sich sicher, dass der Auslöser der Verletzungen ein anderer war. Daraufhin ordnete der Rheumatologe weitere Tests an und überlegte, wodurch eine Sehnenverletzung ausserdem verursacht werden kann. Da kam ihm Skorbut in den Sinn, eine Krankheit, die durch Vitamin-C-Mangel ausgelöst wird. Früher litten viele Seeleute an Skorbut, da sie auf See kaum frisches Obst und Gemüse zu essen bekamen. Vitamin C ist enorm wichtig für die Stabilität des Bindegewebes. Ohne das Vitamin sind Muskeln und Sehnen anfälliger für Verletzungen.
Doch wie kann jemand an Skorbut leiden, der regelmässig Obst und Gemüse isst? Die einzig denkbare Erklärung ist Zöliakie. Bei der Autoimmunerkrankung verursachen glutenhaltige Getreidesorten Schäden an der Dünndarmwand, die die Nährstoffaufnahme beeinträchtigen. Also liess Dr. Bakowsky einen Zöliakietest durchführen. Der Test war positiv. Ein anschliessender Bluttest wies nicht einmal Spuren von Vitamin C nach. Die Diagnose, die später auch von einem Gastroenterologen bestätigt wurde, erklärt wahrscheinlich auch Grahams Magenprobleme während seines Italienurlaubs. „Der Wein war sicher nicht der Grund. Es war bestimmt die Pasta“, vermutete er.
Nahe Verwandte eines Zöliakie-Patienten haben eine Wahrscheinlichkeit von 1:10, auch daran zu erkranken. Grahams Kinder waren gesund, aber seine Mutter und seine Nichte litten an der Autoimmunerkrankung. Darüber hinaus vermutet der Marineoffizier, dass sein verstorbener Grossvater ebenfalls daran erkrankt war, da er oft über Bauchschmerzen klagte. Seine Ernährung umzustellen, fiel ihm nicht leicht, berichtet Graham, der vor allem sein heiss geliebtes Baguette vermisst. „Ich bin so froh, dass der Arzt erkannt hat, woran ich so lange litt“, sagt Graham und ist sich der Ironie seiner Geschichte durchaus bewusst: „Als Marineoffizier heutzutage an Skorbut zu leiden, ist schon komisch.“
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