Die Pflanzenextrakte sollen Substanzen enthalten, die Krebszellen abtöten, und andere, die das Immunsystem stärken. Auch eine Steigerung der Lebensqualität wird dem wilden Gewächs zugeschrieben, auf dessen Heilkraft bereits vor über 2000 Jahren die Gallier vertrauten, wie in römischen Schriften nachzulesen ist. Aktuell sind jedoch zwei grosse Übersichtsarbeiten erschienen, die nach Auswertung von 28 Einzelstudien aus den vergangenen Jahren mit insgesamt 2639 Patienten keinen Vorteil einer solchen Therapie für Krebspatienten zeigen können. Die Patienten litten an ganz verschiedenen Tumoren (ausser Blutkrebs), darunter Karzinome der Brust, anderer weiblicher Geschlechtsorgane, Lunge, Magen-Darm-Trakt, Harnblase, Kopf und Hals oder Hirntumoren.
Bis auf 342 Probanden in acht Studien erhielten alle Patienten die Mistelpräparate zusätzlich zu einer üblichen Chemotherapie und oder Bestrahlung. Die pflanzlichen Mittel unterschieden sich dabei: In manchen Studien kamen Wirkstoffe zum Einsatz, die einen Hauptwirkstoff der Mistel, das Lektin enthalten, in anderen Untersuchungen homöopathische Mistelpräparate.
Die Autoren aus verschiedenen Universitäten in Deutschland hatten speziell die Überlebenszeit der Krebspatienten untersucht, zusätzlich aber auch die Lebensqualität sowie mögliche Nebenwirkungen. Wie sich nach der Auswertung der Daten ergab, fand sich in fast keiner der Studien ein Vorteil der pflanzlichen Therapie. Nur ein paar Untersuchungen mit jeweils wenigen Teilnehmern zeigten eine Verbesserung des Therapieerfolgs durch Mistel. Insgesamt jedoch liess sich im Vergleich zu den übrigen Teilnehmern weder ein längeres Überleben noch eine höhere Lebensqualität für die Patienten nachweisen, die zusätzlich mit Mistel behandelt wurden.
Kein besonderer Effekt nachweisbar
Insbesondere in den wissenschaftlich hochwertig durchgeführten Studien ergab sich kein besonderer Effekt dieser Therapie. Insgesamt sprechen diese Ergebnisse nicht dafür, Krebspatienten zusätzlich mit Mistel zu therapieren, schreiben die Wissenschaftler. Sie warnen sogar vor einer solchen Therapie für Patienten mit Blutkrebs, Lymphdrüsenkrebs, Haut- oder Nierenkrebs, da es hier auch wegen der üblichen Medikamente für diese Tumoren zu hohen Risiken kommen kann. In den hier untersuchten Studien jedoch vertrugen die meisten Patienten die Mistelgabe gut; es gab nur wenige Berichte über Beschwerden wie Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Fieber oder Schüttelfrost.
Solche grossen Übersichtsarbeiten halten Experten in der Regel für aussagekräftiger als Ergebnisse von Einzelstudien. Trotzdem ist es interessant zu wissen, dass die Mistel in einzelnen Untersuchungen immer mal wieder einen Nutzen zeigt. Aktuell hatten andere deutsche Ärzte die Daten von 158 Patienten mit Lungenkrebs in einem sehr fortgeschrittenen Stadium, also schlechter Prognose ausgewertet. 50 von ihnen erhielten zusätzlich zur üblichen Therapie weisse Mistel. Nach drei Jahren waren in der Mistelgruppe noch 25 % am Leben, bei den anderen nur 15%, berichten die Ärzte des Lungenzentrums an der anthroposophisch ausgerichteten Klinik Havelhöhe. Diese Studie ist allerdings eine sogenannte Beobachtungsstudie: Es lässt sich daraus wissenschaftlich nicht ableiten, dass die Mistel die wirkliche Ursache für das längere Überleben war.
Dennoch sehen die durchführenden Ärzte diese Daten als ein „positives Signal“, auch vor dem Hintergrund der schlechten Chancen dieser Patienten. Sie wollen auch weiterhin solche alternativen Methoden zusammen mit der „Schulmedizin“ anwenden; die Diskussion um Mistel wird also anhalten.
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