Auf den ersten Blick mag die korrekte Anrede wie eine Nebensächlichkeit wirken – und doch kann dabei eine Menge schieflaufen. „Das hängt damit zusammen, dass die Anrede eng verknüpft ist mit Wertschätzung und gegenseitigem Respekt“, erklärt Judith Engst. Die Kommunikationsexpertin aus Reichenbach am Heuberg in Baden-Württemberg betreibt mit einer Kollegin den Service „Die Briefprofis“. „Das ,Fräulein‘ zum Beispiel ist einfach nicht mehr zeitgemäß“, sagt Engst. „Auch wenn es für manche vielleicht nach alter Schule und dadurch charmant klingt, impliziert es, dass nur eine verheiratete Frau vollwertig sei.“ Gepflogenheiten ändern sich eben im Laufe der Zeit. Die Anrede macht da keine Ausnahme. So war es früher auch in Deutschland üblich, jede Berufsbezeichnung zu nennen. „Mein Großvater zum Beispiel war bei der Bahn tätig“, erzählt die Expertin. „Und wurde als sogenannter ,Oberweichensteller‘ in offiziellen Briefen als solcher angeschrieben.“
Lieber förmlich als zu vertraulich
Auch wenn es heute weniger formal zugeht als zur Zeit unserer Großväter – vor allem bei der korrekten Anrede in Briefen lauern noch immer viele Fallstricke: Wo gehört eigentlich der akademische Titel des Empfängers hin: in die Anschrift oder in die Anrede? Ist der Direktor der Sparkasse beleidigt, wenn Sie ihn mit „Sehr geehrter Herr Müller“ ansprechen und den „Direktor“ unterschlagen? Wie schreiben Sie Ehepaare korrekt an? Und geht „Liebe/-r“ auch im beruflichen Kontext oder sollten Sie besser „Sehr geehrte/-r“ verwenden? Schließlich wollen Sie niemandem auf den Schlips treten.
„Es schadet auf keinen Fall, die Form zu wahren“, erklärt Engst. Als Faustregel gilt: lieber zu förmlich als zu vertraulich. Im Zweifelsfall rät die Expertin zu einem schriftlichen Versuchsballon. Sprechen Sie die Adressatin in Ihrem Schreiben mit „Sehr geehrte, liebe Frau Müller“ an. Antwortet sie dann ebenfalls mit dieser Anrede oder wählt das förmlichere „Sehr geehrte(r)“ oder geht gleich zu „Lieber Herr Maier“ beziehungsweise „Liebe Frau Maier“ über, können Sie das im nächsten Schreiben dann auch so halten.
Akademische Titel mit Augenmaß verwenden
Akademische Titel sollten immer in Anschrift und Anrede benutzt werden. „Ich rede einen Gesprächspartner so lange mit seinem Doktortitel an, bis er oder sie mir gestattet, ihn wegzulassen“, verrät Expertin Engst. In Deutschland sind nur „Doktor“ und „Professor“ verbindlich. Sie schreiben also an „Herr Prof. Dr. Schmidt“, den Sie im Gespräch „Herr Professor Schmidt“ nennen.
In Österreich zählt zum Beispiel auch der „Magister“ oder „Diplom-Ingenieur“ zu den Titeln, die in Briefen erwähnt werden. Im Gespräch können Sie darauf verzichten. Bei Berufsbezeichnungen gilt: Sie werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz nur dann in der Anschrift genannt, wenn der Empfänger in dieser Funktion adressiert wird. Bitten Sie etwa den Oberbürgermeister zu Ihrem Firmenjubiläum um ein Grußwort? Dann schreiben Sie „Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister“. Der Nachname entfällt. Schreiben Sie einen Geschäftsbrief an mehrere Personen, richtet sich die Reihenfolge der Angesprochenen nach der Hierarchie im Unternehmen. Bei privaten Briefen an Ehepaare wiederum nennen Sie den Namen der Frau zuerst, etwa „Frau Anja Müller und Herrn Martin Müller“.
Adelstitel – in Deutschland Pflicht, in Österreich verboten
Richtig knifflig kann die Anrede bei Adligen sein. Nur gut, dass man eher selten mit ihnen zu tun hat. In Österreich gilt seit 1919 das Adelaufhebungsgesetz, welches das Führen von Adelsbezeichnungen sogar unter Strafe stellt. Nach deutschem Recht hingegen sind Adelstitel Bestandteil des Namens und gehören deshalb zu einer korrekten Anschrift und Anrede unbedingt dazu. Sie adressieren ein Schreiben also an „Frau Elisabeth Gräfin von Weidenfeld.“ In der Anrede heißt es dann „Sehr geehrte Gräfin Weidenfeld“. Anspruch auf ein „Durchlaucht“ oder „Hoheit“ haben Aristokraten übrigens nicht.
„Generell geht es bei dem Thema Anrede nicht nur um das starre Befolgen von Regeln“, fasst Expertin Engst zusammen, „sondern vor allem darum, seinem Gegenüber mit Anstand zu begegnen.“ Was diesen im Einzelfall auszeichnet, darüber lässt sich freilich streiten.
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